Im Folgenden ein Text, der im Themenheft Anders Handeln Ausgabe 1.2018 mit dem Titel Gerechtigkeit erschienen ist als geführtes Interview mit Herrn Dr. Kai-Uwe Scholz und Fotos von Dominik Asbach.

Da im Moment in der ARD die Themenwoche Gerechtigkeit auf allen Modulen läuft, finde ich sehr spannend meine Texte in 2018 zu eben diesem Thema zu erwähnen.

Sie hatten 1994 einen schweren Autounfall, der von heute auf morgen Ihr Leben veränderte. Fühlten Sie sich vom Schicksal ungerecht behandelt ?

Nein, dafür bin ich zu sehr Christ, als dass ich das denken würde. Natürlich war es schrecklich: Auf der Autobahn zog plötzlich ein Lastwagen vor mir auf die Überholspur – zu plötzlich, um noch bremsen zu können. Danach war ich zwei Jahre in der Reha.

Keine Wut?

Ich wussteja: Das macht niemand mit Absicht. Und ich hatte immer das Gefühl, es geht positiv weiter.

Wirklich?

Ja. Vielleicht hat sich Gott gedacht, dem Durst muss man eine neue Aufgabe geben. Das war dann der Leistungssport als Paracycler und etwa meine Tätigkeit als Motivationstherapeut.

Auf Dursts Smartphone geht eine SMS ein. Er checkt den Absender und legt es wieder beiseite.

Entschuldigung – die SMS hätte auch vom ADAMS sein können.

Vom was?

Vom „Anti-Doping Administration und Management System“, der Nationalen Anti-Doping-Agentur. Dann müsste ich mich innerhalb der folgenden Stunde für eine Urinprobe bereithalten, täglich zwischen 6 und 23 Uhr. Nachts gelten andere Regeln.

Gelten diese Kontrollregeln gerechterweise für alle Leistungssportler ?

Ja, für nichtbehinderte und behinderte – oder besser: besondere Sportler.
Da das System sehr teuer ist, kann es sich allerdings nicht jede Sportnation leisten. In manchen Ländern wird daher gewiss nicht so strikt kontrolliert werden. Und völlige Gerechtigkeit wird sich weder im Großen noch im Kleinen herstellen lassen.

Also sind Ungleichbehandlungen programmiert ?

Sicher. Das ist im Sport von Behinderten wie im Nichtbehinderten so! Aber es ist natürlich überhaupt großartig, dass es für Menschen mit Behinderungen die Teilnahme und Teilhabe am Sport inzwischen selbstverständlich ist. Durch den Sport sind wir wieder wer! Darin steckt ein großes Stück Gerechtigkeit! Wir nehmen an den Paralympics teil, werden für außergewöhnliche Erfolge ebenfalls mit dem „Silbernen Lorbeerblatt“ ausgezeichnet und auch in unserem Bereich gibt es „Sportler des Jahres“, obwohl dort viele andere nach vorne gestellt gehörten.

Warum ?

Weil viele Behindertensportler ohne Chance sind, Medaillen zu gewinnen, und es dennoch verdient haben. In meiner Sportart zum Beispiel gibt es von knapp zwei Dutzend Rennteilnehmern vielleicht eine Handvoll, die am Ende auf dem Siegertreppchen stehen können.

Weil die Handicaps der anderen zu groß sind ?

Ja, und weil sich unsere Klassifizierungen nicht fein genug unterscheiden. In meiner Klasse MT2 – Männer, Tricycles, mittelschwere Behinderung – fahren zum Beispiel Athleten, von denen die einen im Rollstuhl sitzen, andere starke Ganzkörperspastiken haben und wieder andere einseitig gelähmt sind oder nach Unfällen verschiedene neurologische Beeinträchtigungen haben. Wenn man uns zusammen sieht, fällt sofort ins Auge, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind. Trotzdem fahren wir in einer Klasse.

dazu und zur Gerechtigkeit der Klassifizierungen schreibt HP in Kürze separat 😉 )

Wenn Chancengleichheit per se nicht vorhanden ist, ist es dann nicht eine Quadratur des Kreises, Gerechtigkeit im Behindertensport herstellen zu wollen?

Das ist schon bei Wettbewerben Nichtbehinderter schwierig; bei uns ist es extrem schwierig. Wenn man absolut gerecht sein möchte, müsste jeder von uns in seiner eigenen Klasse fahren.

oder wie soll ein interessierter Zuseher verstehen, warum ein Radsportler mit einem Bein und einem Arm gegen Menschen mit 2 Beinen und 2 Armen fahren und oft gemeinsam auf dem Podest jubeln 😉 )

 

In einer intelligentere Klassifizierung könnte man jedoch den Fairnessgedanken stärker einbauen. Zum Beispiel durch eine Art Zeitfaktorisierung: Je größer die Einschränkungen eines Teilnehmers sind, desto langsamer müsste die Uhr für ihn laufen. Für mich vielleicht nur 30 Prozent, für einen Tetraspastiker 70 Prozent und für einen einseitig Gelähmten 90 Prozent….

…..damit die Wettbewerbsverzerrung aufgehoben wird?

Ja, damit die Ergebnisse nicht zuletzt auch für die Zuschauer plausibler werden. Es gäbe weitere Faktoren: Wer sich durch Sponsoring völlig auf Sport konzentrieren kann, hat andere Bedingungen als etwa der, dem nur der Urlaub für die Teilnahme an Trainingslagern bleibt. Es dürfte auch nicht nur der Leistungs- und Vergleichsgedanke im Fokus stehen. Jeder Einzelne zeigt, dass wir von verschiedenen Ausgangspunkten zu unterschiedlichen, aber für jeden großartigen Leistungen kommen.

Wobei es auch Fälle gibt, in denen etwa Prothesenträger im Vorteil sind!

Ja, wie mein Freund Markus Rehm, der mit seiner Unterschenkelprothese im Sprint und Weitsprung Nichtbehinderten Konkurrenz macht. Jetzt darf er wohl weiterhin gemeinsam mit ihnen starten, wird aber getrennt gewertet. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung: Es ist gut, wenn wir uns messen können, aber jeder für sich gewürdigt wird. Darin bestünde Gerechtigkeit.

Wollen Sie deshalb einmal an der Tour de France teilnehmen?

Ja! Ich habe Verständnis dafür, dass das schon aus renntechnischen Gründen nicht geht: Mit einem dreirädrigen Fahrzeug fahre ich andere Kurvenwinkel als Zweiradfahrer. Aber beim Einzelzeitfahren ginge es durchaus! Für uns gilt: Wir wollen, dass das Besondere von Sportlern mit Behinderungen nicht las besonders im Vordergrund steht.

leider ist die großartige Chance beim Tourstart in Düsseldorf für uns verpasst worden – sooo gerne hätte ich mit einigen Paracyclern am Einzelzeitfahren entlang des Rheins teilgenommen – die Fans wären sicher begeistert gewesen von unseren inklusiven Leistungen 😉 )

Wie versuchen Sie selbst, dazu beizutragen und mehr Gerechtigkeit herzustellen?

Indem ich zum Beispiel den Verein „Sportkinder“ mitinitiiert habe, der eben nicht nur ein Behindertensportverein sein will, sondern auf Inklusion setzt: Niemand wird ausgeschlossen.

Ihr Grundgedanke ist nicht das Gegeneinander, sondern das Miteinander.

Ja, wir wollen eigentlich mehr als nur den leistungsorientierten Sport. Nach meiner Überzeugung könnten all unsere Athleten nicht auf abgestuften Siegertreppchen, sondern auf einer Plattform stehen, alle miteinander, gleichwertig, auf einer Ebene, weil für mich alle Sieger sind.“

„Die Titelgeschichte des Themenheftes „für eine bessere Gerechtigkeit“ – von HP Durst in Bezug auf Sport für Menschen mit und ohne Behinderungen ist auf Seite 36 zu finden – das ganze Heft ist über den Verlag unter
zu finden und gerne zu bestellen.