Hallo liebe HP Chronicle – Freunde.

Die Saisonplanungen gemeinsam mit meinem Trainerteam um Robert Pawlowsky am Olympiastützpunkt Rheinland und im Radsportverband NRW sind in der Regel so aufgebaut, dass wir den ersten Wettkampfblock im Detail sowohl terminlich als auch trainingstechnisch angehen.

Eine gelungene 1. Hälfte des vorparalympischen Jahres sieht sicher ganz anders aus, als meine bisherige Radsportsaison.

Das Gute zuerst – mein Neustart bei der inklusiven Cologne Classic Radsportveranstaltung 2019 (www.cologneclassic.de) verlief sehr hoffnungsvoll – ein zeitfaktorierter 4. Platz im Einzelzeitfahren auf der Speedway Strecke in Elsdorf und der Sieg im klassischen Straßenrennen durch Köln Longerich am Pfingstsonntag – somit der Gesamtsieg unserer Europacup-Wertung Paracycling.

Aber beginnen wir von vorne!

Bereits im Dezember und nochmals im Februar musste ich mich im Dortmunder Klinikum einiger kleinerer, aber unabwendbarer Eingriffe unterziehen, da meine Augen und die Kieferhöhle betroffen waren. Für mein Trainerteam und mich kam dies in der Planung zur besten Zeit.

Unser eigentlicher Plan: Eingriff, Heilung, Grundlagentraining.

Leider spielte diesmal mein Körper nicht mit. Die Entzündung der Kieferhöhlen-OP war hartnäckig, was viel Geduld und einige Wochen ohne strukturiertes Training bedeutete. Aber Herausforderungen sind dazu da, gemeistert zu werden.

Ein klassisches Grundlagentraining war auf dem Sport-Dreirad nicht möglich. Also ging es viel ins Studio und Krafttraining gab’s nur sehr dosiert mit e-Gym. Dadurch fehlt natürlich die notwendige Sicherheit auf dem Rad, die Sitzposition und auch das Gefühl des Radfahrens. In diesem Wissen fand das erste Gespräch mit unserem neuen Paracycling Bundestrainer Tobias Bachsteffel statt bei dem gemeinsam Alternativen besprochen wurden.

Schon hier ein ganz großer Dank an sein Zutrauen und sein pragmatisches Danken – das gibt Zutrauen und Motivation.

Am Olympiastützpunkt in Köln erarbeiteten wir einen alternativen Aufbau in die Saison. Tobias Bachsteffel, der neue Paracycling Bundestrainer im DBS, ging diesen Schritt ganz pragmatisch mit.

Also hieß es, statt Nationalmannschaftstraininglager auf Mallorca in diesem Jahr, individuelles Aufbau-Camp mit dem ParaSportSupport Team in bella Italia. Dort konnten wir das nötige Grundlagentraining mit den wichtigen ersten Wettkampferfahrungen bestens verbinden.

So verzichtete ich auf das gemeinsame erste Trainingslager des Paracycling Teams Germany auf Mallorca und fuhr zeitgleich mit meinem ParaSportSupport Team nach Italien – im wunderbaren Peugeot Traveller konnten Zeitfahrmaschine und Straßenrennrad, ganz viel Testmaterial unseres DBS Reifen-Partners Schwalbe, Laufräder von Profile Design und noch viel mehr wichtige Dinge für den geplanten Start transportiert werden.

Dazu gab es ab dem 31. März parallel die Möglichkeit an 4 Wochenenden jeweils 2 Rennen zu absolvieren. Damit wollte ich den Trainingsrückstand wieder aufholen – harte Rennen und dazwischen erweiterte Grundlage auf dem Dreirad – so war unser Plan.

6 Rennen in Marina di Massa, Verola Nuova und Parabiago konnte ich, zugegebenermaßen mit überschaubarer Konkurrenz, siegreich beenden. Trotzdem waren diese für meine Motivation und den Rennspirit unglaublich wichtig und die Beschwerden waren scheinbar plötzlich auch überwunden.

Beim 3. Rennwochenende in Parabiago spürte ich schon wieder, dass es in der Kieferhöhle wieder rumorte, die Schwellung und auch die Schmerzen kamen zurück, aber es war moderat und die Rennen einfach zu interessant. So konnte ich unter den Bedingungen und dem Wissen, dass die lokale Konkurrenz nicht die Elite in unserer Faszination Dreiradsport widerspiegelt, auch diese beiden Wettkämpfe siegreich beenden.

Mit großer Vorfreude, aber zunehmenden Problemen, fuhren wir von Mailand an die Adria zum ersten Paracycling Weltcup Straßenwettbewerb in Corridonia. Eine unglaublich selektive Strecke erwartete uns. Leider war diese auch ohne die neuerlichen Beschwerden einfach noch ein wenig zu früh im Rennjahr mit meiner individuellen Vorbereitung.

Die historische Kulisse der Altstadt, die sehr gefährliche Abfahrt auf für uns Dreiradfahrer kaum zu beherrschendem Belag und der lange Anstieg hoch bis zur Kathedrale. Dazu kam am Ende noch 800 m Kopfsteinpflaster – im Grunde ein Rennen wie für mich gemacht.

Schon im Training hatte ich massive Schmerzen, bekam kaum Luft und durch die Schwellung unter dem rechten Auge war auch die Sicht stark beeinträchtigt. Dazu kommt, dass meine individuelle Behinderung mit dem Ausfall des Gleichgewichtsorgans bei der steilen Abfahrt und den Schräglagen im Asphalt sehr hinderlich war. Ich verlor zeitweise komplett die Kontrolle und musste am Ende sogar absteigen. So fuhr ich das Einzelzeitfahren mit. Am Ende war ich mit dem 5. Platz sehr zufrieden, denn Nationenpunkte waren eingefahren.

Zu diesem Zeitpunkt war meine größte Sorge, dass diese ja unweigerlich weg sind, wenn ich nicht funktioniere. Vor allem, da es ja nicht Punkte für mich persönlich sind, sondern für das Team Germany um möglichst viele Startplätze bei den Paralympics in Tokyo 2020 zu erhalten.

Zum Straßenrennen musste ich dann aber erkennen, dass es unter diesen Bedingungen einfach nicht geht. Nach Rücksprache mit meiner Ärztin in Dortmund und einem guten Gespräch mit Bundestrainer Bachsteffel vor Ort entschieden wir uns für die krankheitsbedingte Absage.

Das war so ziemlich das unangenehmste, was mir bislang passiert ist.

An den Sieger Weltmeister Ryan Boyle, der in beeindruckender Form war, nochmal meinen herzlichsten Glückwunsch.

Die Belastung im Rennen war wohl doch zu hoch – die Schmerzen kamen zurück und es folgte eine Rennabsage für das Straßenrennen und meine Abfahrt.

Die Behandlung bis zum nächsten Weltcup im belgischen Ostende lief, wenn auch nur wenige Tage, auf Hochtouren. Doch leider reichte es nicht und es folgte wieder eine Rennabsage für das komplette Wochenende.

Eine Situation, die ich in all den erfolgreichen Jahren nicht erlebt habe. Neu für mich, aber gemeinsam mit meiner Mentaltrainerin Grit Moschke, meinem Trainer Robert und ganz vielen Ideen kamen gar keine „dummen“ Gedanken auf, obwohl so eine Zeit für einen Athleten, der seinen Sport mit viel Leidenschaft und Passion betreibt, schon recht schwer ist.

In Absprache mit Bundestrainer Bachsteffel und der verantwortlichen Verbandsärztin wurden auch die weiteren geplanten Rennen in Oberöstereich abgesagt und die tägliche Behandlung in Dortmund fortgesetzt.

Die Zeit konnte ich nur zum vorsichtigen Grundlagentraining nutzen, da mehr nicht ging, aber als mündiger Athlet im Deutschen Behindertensportverband gibt es immer was zu Tun.

So konnte ich gute Gespräche für die Vorbereitungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages ab 19. Juni in Dortmund führen. Die Themen Inklusion und Gleichwertigkeit stehen gerade im Zentrum Sport, gepaart mit Podiumsdiskussionen zum Thema Sport, Kirche, Fairness und Gerechtigkeit.

Der Neustart, mein Come Back war beim NRW Heimstart, Cologne Classic, in Köln geplant. Tolle Strecken, tolle Menschen und ein toller Platz für unsere Idee.

Am Samstag durfte ich nun wieder sporttauglich in Elsdorf auf dem Speedway des Braunkohletagebaus an den Start gehen. Einzelzeitfahren über 15 Kilometer – flach und schnell.

Schlussendlich kam ich mit viel Wind – mal von vorn, mal von hinten – mit einer Bestzeit von 28:11 Minuten MT2 ins Ziel. Durch die international festgelegte Zeitfaktorisierung mit den Dreiradklassen MT1, WT1 und WT2 wurde es Platz 4 hinter unserem Youngster aus Cottbus, Maximilian Jäger, und hinter den beiden starken WT2 Frauen Carol Cooke aus Melbourne und Angelika Dreok-Käser aus Cottbus.

Ein Einstand nach Maß – vor allem unter den strengen Blick des Trainers und des DBS-Präsidenten Friedhelm Julius Beucher.

Dann folgte das Sahnehäubchen: Straßenrennen auf den winkeligen Kriterium in Köln Longerich. Hier konnte ich den noch vorhandenen Trainingsrückstand mit meiner langjährigen Erfahrung etwas kompensieren.

Es war ein wirklich spannendes Rennen, von Anfang an ein Führungs-Trio an der Spitze aus Maximilian Jäger, Friedrich Freytag und mir mit guten Wechseln. Dann beendete ein Kettenriss das Rennen von Max leider in Runde 5.

Friedrich und ich arbeiteten weiter zusammen gegen die noch nicht abgeschlagenen Konkurrenten, aber belauerten uns natürlich auch schon. In der vorletzten Runde setzte ich die erste Attacke am Anstieg, 300 m Vollgas, aber Friedrich konnte mein Hinterrad halten. Da merkte ich die noch fehlende Kraftausdauer erstmals richtig.

So musste der Schlusssprint herhalten. Friedrich zog sofort nach der letzten 90° Rechtskurve an – vielleicht ein wenig zu früh. Ich konnte in der Unterführung kurz vor 250 m zum Ziel aufschließen und direkt in 52/11 den Gegenangriff setzen. – Sieg im Straßenrennen – wohl eines meiner Wichtigsten in meiner bisherigen Paracycling – Zeit.

Am Ende war Köln genau der richtige Ort für dieses Come Back, da auch Mentaltrainerin Grit Moschke an Start und Ziel, viele Freunde überraschen aus Dortmund, Bonn Niederkassel und Aachen angereist – das tat so gut und hat sicher die nötigen Körner am Ende freigegeben.

Aber die Cologne Classic Rennsportveranstaltung ist nicht nur deswegen so unglaublich wichtig – ist es doch DAS inklusive Erlebnis im Radsport – Gina Haatz-Becker und Gino Baudrie samt Team stellen hier etwas auf die Beine, was genau meiner Motivation für diesen Sport entspricht.

Natürlich sportliche Höchstleistungen in den Rennen abrufen, aber auch die Kinder und Jugend einbinden, Speedskatern und Radsport-Innovationen Platz geben – Laufradwettbewerb für die ganz Kleinen – und dies in diesem sympatischen Rahmen um die Longericher Dorfkirche.

In diesem Jahr wurde es mir wieder mehr als bewusst: aus eigener Kraft geht im Leben gar nichts, gemeinsam sind wir im Leben und im Sport stark und gemeinsam sind wir ganz individuell erfolgreich. Mein Freund Josef Riefert ist ein großes Vorbild in vielerlei Hinsicht, denn sein unermüdliches Engagement für die gelebte Inklusion ist einmalig. Mein Respekt und meine Freude als Schirmherr den Jungs ein wenig Mut geben zu können ist übergroß.

Ein besonderer Moment in diesem Jahr war die Überreichung des IPA (International Police Association) Ordens für nachhaltigen Einsatz im Rahmen des inklusiven Radrennens und für immer mitgebrachte Lebensfreude durch den langjährigen Polizeichef und Verantwortlichen Einsatzleiter bei Cologne Classic: Georg Buchholz.

Ich kann mich selbst nicht beurteilen, freue mich aber riesig und nehme es als neue Motivation für die kommenden Aufgaben in meiner Faszination Dreiradsport.

Nun gilt es die Freude über das gelungene Come back in neue Trainingsfreude und Vorfreude auf die Swiss Paracycling Tage am Ende dieser Woche umzuwandeln. Einzelzeitfahren gemeinsam und ganz inklusiv mit den Profis der Tour de Suisse in Langnau und am Sonntag ein sicher spannendes Straßenrennen auf einem Kurs ähnlich der Paralympics in Tokyo 2020.

Ein herzliches Vergelt’s Gott an meine großartigen Partner, Förderer, Freunde und die Familie – eben gemeinsam stark – gemeinsam erfolgreich auch beim Neustart in 2019.